Kommentar zum jüngsten Urteil des Bundesgerichts zu 24 Stunden Betreuung
Für die klageführende Gewerkschaft VPOD bedeutet dieses Bundesgerichtsurteil zumindest einen Etappensieg. Da wir aufgrund der teilweise vereinfachenden Berichterstattung eine Verunsicherung unter unseren Kunden und Interessenten erwarten, möchten wir das Urteil auch aus Sicht der Pflegevermittlung Schweiz einordnen und kommentieren.
Bisher ging man davon aus, dass in Privathaushalten das Arbeitsgesetz keine Anwendung findet. Neu urteilt das Bundesgericht, dass das Arbeitsgesetz grundsätzlich auch auf private Haushaltungen angewandt werden kann, sofern ein „Dreiparteienverhältnis“ vorliegt.
Gleichzeitig kommt das Gericht zu dem Schluss, dass die in Artikel 2 des Arbeitsgesetzes formulierte Ausnahme für Privathaushalte weiterhin Gültigkeit besitzt, wenn eine «Arbeitskraft direkt vom privaten Haushalt angestellt wird und ihre Anweisungen ausschliesslich von diesem bezieht». In diesem Fall läge ein „Zweiparteienverhältnis“ vor, was sich zudem im Einklang mit der historischen Intention des Gesetzgebers befände.
So ordnen wir das Urteil ein:
Wird häusliche Betreuung als Dienstleistung im Rahmen von Personalverleih oder als Auftragsverhältnis organisiert, könnte künftig das Arbeitsgesetz breiter zur Anwendung kommen.
Wird eine Betreuungsperson direkt angestellt, so finden die Bestimmungen des Arbeitsgesetzes weiterhin keine Anwendung. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitsvertrag unter Vermittlung der Pflegevermittlung Schweiz zustande kommt.
Die Gewerkschaft VPOD fordert für jede Form der häuslichen Anstellung eine generelle Unterstellungspflicht unter das Arbeitsgesetz. Damit würde Betreuung zuhause für Normalverdiener zu einem unerschwinglichen Luxus.
Das Gericht begründet seinen Entscheid damit, dass im Fall von Personalverleih die Betreuungspersonen einerseits Weisungen von der Agentur als Arbeitgeber erhalten, zugleich aber auch Weisungen der zu betreuenden Personen sowie deren Angehörigen (also der Privathaushalte) unterstehen. Somit handelt es sich um ein Dreiparteienverhältnis mit der Betreuungskraft als Arbeitnehmer, der Agentur als Arbeitgeber und dem Kunden als sogenannter „Einsatzbetrieb“.
Das Bundesgericht führt in seiner Begründung weiter aus, dass «das Arbeitsergebnis auch die Erfüllung des Dienstleistungsvertrags zwischen der Betreuungsorganisation und der betreuten Person bewirkt». Wirtschaftlich betrachtet, käme dies der Betreuungsorganisation zugute. Somit diene ein verliehener Arbeitnehmer auch «der Erfüllung einer Leistungspflicht der Betreuungsorganisation gegenüber ihren Kunden». Die im Arbeitsgesetz formulierte Ausnahme soll jedoch nur dann Anwendung finden, wenn Personen «für private Bedürfnisse und nicht zu geschäftlichen Zwecken» in einer Wohnung beschäftigt werden.
Ein weiteres Indiz, welches auf ein Mehrparteienverhältnis hindeute, seien die «Rapportierungspflichten der Betreuungskräfte gegenüber dem Verleiher».
Schliesslich geht das Bundesgericht davon aus, «dass in solchen Dreiparteien-Konstellationen in der Regel kein … ausgeprägtes Vertrauensverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem privaten Haushalt besteht» und die Arbeitnehmer schnell wieder ausgetauscht werden könnten.
Bei einer direkten Anstellung sei hingegen eine «besondere Vertrauensbeziehung zwischen dem Arbeitnehmer und dem Inhaber des privaten Haushalts» gegeben.
Auch wenn die Pflegevermittlung Schweiz somit von den Auswirkungen dieses Urteils direkt nicht betroffen ist, sind wir als Vertreter unserer Branche und als eines von vielen seriös schaffenden Unternehmen in der häuslichen Betreuung von der Urteilsbegründung enttäuscht.
Auch wenn eine betreute Person nicht als juristischer Arbeitgeber ihrer Pflege- oder Betreuungskraft fungiert, kann doch ein sehr enges Vertrauensverhältnis entstehen. Dies wird vom Bundesgericht pauschal verneint. Solche Schlussfolgerungen sind lebensfern und in der Praxis unzutreffend.
Für den vorliegenden Sachverhalt hat das Gericht richtigerweise festgestellt, dass (private) Spitex-Organisationen eine fachliche Aufsicht und Weisungsrechte über ihre verliehenen Mitarbeitenden behalten. Soweit jedoch pflegerische Aufgaben in Form kassenfähiger Leistungen erbracht werden, ist dies sogar gesetzlich vorgeschrieben. Völlig unzureichend wird thematisiert, ob diese Konstellation auch auf Betreuungsanbieter zutrifft, deren Mitarbeitende gar keine Spitex-Leistungen erbringen.
Zudem stellt das Urteil eine argumentative Kehrwende zu früheren Entscheiden dar: Während das Gericht zuvor zum Schluss kam, Weisungen würden mehrheitlich durch den Einsatzbetrieb – sprich: durch die betreute Person – erfolgen (weshalb ein Verleihverhältnis vorläge), folgert das Bundesgericht nun, wesentliche Weisungen würden von der Verleihfirma als Arbeitgeber ausgehen. Die Betreuung im Personalverleih wird nun wieder in die Nähe eines Auftragsverhältnisses gerückt.
Aus unserer Sicht trägt dieses Urteil nicht dazu bei, einheitliche Regeln bei der häuslichen Betreuung zu schaffen; es werden pauschale Verallgemeinerungen vorgenommen, obgleich dem Entscheid ein in der Praxis eher seltener Spezialfall zugrunde lag.
Schlussendlich bestätigt das Bundesgericht jedoch wesentliche Grundsätze, nach denen die Pflegevermittlung Schweiz ihr Geschäftskonzept ausrichtet:
- Die Pflegevermittlung Schweiz vermittelt häusliches Personal ausschliesslich zur direkten Anstellung
- Die Pflegevermittlung Schweiz erbringt selbst keine Pflege- oder Betreuungsleistungen
- Durch unsere Vermittlung kommen direkte Arbeitsverträge zwischen unseren Klienten sowie den vermittelten Betreuungspersonen zustande
- Unsere Dienstleistung ist darauf ausgerichtet, langfristige und enge Anstellungs- und Vertrauensverhältnisse zu schaffen
- Die Pflegevermittlung Schweiz übt keinerlei Weisungsrechte über die von ihr vermittelten Kandidaten aus
- Die Kandidaten und Kandidatinnen der Pflegevermittlung Schweiz sind dieser gegenüber in keiner Weise rapportierungspflichtig